Hollywoodreife Abschlussfeier

Allgemeine Zeitung vom 23.03.2018

Von Birgit Schenk

Hand aufs Herz – wie lange haben Sie sich aufs Abi vorbereitet? Sechs Wochen? Drei Monate? Sehr viel länger vermutlich kaum. Die gute alte Zeit – davon können die Gymnasiasten von heute nur noch träumen. „In 11/2 ging’s schon los, sonst packt man es nicht“, seufzt Kira Benzing, Schülerin am Mainzer Frauenlob-Gymnasium. Heißt: Spätestens in der zweiten Hälfte der elften Klasse muss der Startschuss für den Countdown fallen. Anders ließe sich das Riesenprogramm auch gar nicht abarbeiten, das einem Abiturienten-Jahrgang 2018 abverlangt wird.

Freilich nicht vom Curriculum, genau so wenig wie vom Lehrkörper oder gar den Eltern. Es sind die Jugendlichen selbst, die sich dieser alle verfügbaren Kräfte fordernden Anstrengung stellen – und um Missverständnisse erst gar nicht aufkommen zu lassen, sei erwähnt, dass es hier nicht um die Abfolge der oxidativen Decarboxylierung, den Citratzyklus oder die Gewaltenteilung nach John Locke geht. Die Rede ist vielmehr von hollywoodreifen Abi-Feierlichkeiten, deren Organisation über Monate hinweg enorm viel Zeit verschlingt und sämtlichen Akteuren maximalen körperlichen und mentalen Einsatz abverlangt. Die eigentliche Reifeprüfung? Wird en passant mit erledigt. Im Grunde dient sie einem Abi-Jahrgang nur als Anlass, um endlich unter Beweis zu stellen, dass die Truppe 13 Jahre lang nicht für die Schule, sondern tatsächlich fürs Leben gelernt hat.

Großer Auftritt mit DJ, Band und Profi-Fotografen

Bestes Beispiel: Kira und ihr Jahrgang. Die Summe von 18 000 Euro stand plötzlich im Raum, als sie in 11/2 überschlugen, was eine Abi-Feier so ganz nach ihrem Geschmack kosten würde: Als „Hall of Fame“ für den großen Auftritt hatten sie die exquisite Lokhalle auserkoren, wo ein Catering-Unternehmen den erhofft 600 zahlenden Gästen ein „qualitativ hochwertiges“ Menü servieren sollte. Weitere Posten auf der Rechnung: Discjockey, Band, professionelle Fotografen, die den Abend im Bild festhalten würden, Getränke, Versicherungen, Deko, Sicherheitspersonal – um nur einige der größeren Ausgaben aufzuzählen.

 

Summa summarum 18 000 Euro: sehr viel Geld für 100 Taschengeld-Empfänger. Wäre es da nicht auch eine Nummer kleiner gegangen? Verständnislose Blicke. „Dass wir nach 13 Jahren das Ende unserer Schulzeit feiern, und zwar mit einem unvergesslich schönen Abiball, ist doch selbstverständlich“, wundert sich Kira über die Frage. Doch, hie und da hätten sie schon Abstriche am Programm vorgenommen, räumt die 18-Jährige ein. Etwa beim Essen. Zugunsten von Rinderbraten und Lachssteak verzichtet der kostenbewusste Jahrgang aufs Dessert – aber nur auf das aus der Catering-Küche. „Nachtisch bringen wir selbst mit“, haben die Jugendlichen beschlossen. Mit selbst angerührtem Mousse aus dem Minus? Ja, jeder Cent zählt, hat Kira ihren Mitstreitern eingeschärft, „sparen, sparen, sparen“ lautet ihr Mantra seit der elften Klasse.

Kira managt die Finanzen des Abi-Jahrgangs. Sie scheint bei Ex-Finanzminister Schäuble in die Lehre gegangen zu sein, dem Meister der Schwarzen Null. „Klar kriegen wir die 18 000 Euro für den Abiball zusammen“, da ist Kira frohen Mutes, „und wenn alles gut läuft, bleibt am Ende sogar ein Plus.“ Wie die Rechnung aufgehen soll, das verrät sie gleich.

Budgetplanung darf nicht gefährdet werden

Zuvor aber muss sie noch Holger abbügeln. Verbindlich im Ton, aber unbeirrbar in der Sache, wimmelt Kira alle Anfragen ab, die ihre Budgetplanung zu gefährden drohen. Wie die von Holger. Im Glauben, eine entspannt plaudernde Finanzchefin sei milde gestimmt, hat er beiläufig „Kira, ich brauch’ Geld“ ins Gespräch eingeworfen, offensichtlich in der Hoffnung, einen weiteren Zuschuss für den Abi-Streich rauszuholen. Irrtum. „Dafür ist der AK Abigag zuständig“, spielt Kira postwendend den Ball zurück. Soll sich doch die AK-Leitung den Kopf zerbrechen, ob der Etat noch was hergibt. Derweil Holger enttäuscht davonzieht – nein, nicht zum Lernen, sondern zur Probe des Männerballetts – gewährt Kira Einblick in die Abi-Finanzwirtschaft: „Jeder von uns hat 50 Euro eingezahlt. Damit besaßen wir ein Startkapital von 5000 Euro.“

Ein Grundstock, der peu á peu ausgebaut wurde: etwa über Einnahmen aus diversen Arbeitskreisen (AK), die jeweils mit einem eigenen Etat ausgestattet sind. So organisierte zum Beispiel der Party-AK Festivitäten, deren Erlös in den großen, von Kira verwalteten Topf zurückfloss.

Am Ende soll die schwarze Null stehen

Der AK Abi-Zeitung verkaufte Anzeigen, und allein 6000 Euro nahm der Jahrgang ein, indem er die Fünft- bis Neuntklässler in den Freistunden beaufsichtigte. „Pro Person und Schicht gibt es vier Euro“, rechnet Kira vor, „und ein Jahr lang haben pro Tag mindestens acht Leute Aufsichten übernommen.“ Spendensammlungen bei Benefizkonzerten, Kuchenverkauf, all das spülte Geld in die Kasse. Den größten Batzen dürfte der Kartenvorverkauf für den Abiball erbracht haben, schätzt die Finanzchefin: weit über 14 000 Euro. Beim Erstellen des Haushaltsplans hat Kira ein dickes Polster mit eingerechnet. Ihr Ziel: am Ende den Abiturienten 100 Euro auszahlen zu können: Alle sollen ihre Einlage und das Geld für die Abi-Ball-Karte zurückerhalten – plus eine finanzielle Anerkennung für ihren Einsatz.

Online-Banking, Angebote vergleichen, Anzahlungen leisten, Rechnungen prüfen – Kira ist bei Weitem nicht die Einzige, die fürs Leben gelernt hat. Alle, die sich in einem der vielen AKs engagierten, haben ihre Lektionen hinter sich. Manche waren mehr, andere weniger unangenehm: Macht halt einen Unterschied, ob man über die Weingüter tourt auf der Suche nach dem Festwein, oder aber sich mit Behörden, Ausschankgenehmigungen und Versicherungen rumschlägt. Und wie ernüchternd, Kira das Preisangebot für den süffigen Ball-Wein zu unterbreiten, nur um erneut zu hören: „Nein, zu teuer, ist leider nicht drin.“

Am Ende sind die Kabbeleien Geschichte

Wenn Kira den Schäuble gibt, ist Feilschen überflüssig. „Wie oft haben wir uns in die Haare gekriegt, vor allem wegen vorher nicht abgeklärter Rechnungen“, bedauert Kira, dass ihre Unerbittlichkeit nicht immer sofort auf Einsicht stieß.

Am Ende aber sind die Kabbeleien Geschichte: die Schwarze Null steht, und auf dem Abi-Ball wird, wie geplant, „unvergesslich schön“ gefeiert. Stress, Streit – und trotzdem fürs gemeinsame Ziel an einem Strang ziehen: Gehört ebenfalls zu den Lektionen fürs Leben. Wer die gelernt hat, hat sie mit Bravour bestanden: die Reifeprüfung.

Zur Newsübersicht