Positive Bilanz nach 10 Jahren „Turbo-Abi“

Saarbrücker Zeitung vom 25.03.2018
Schülerinnen und Schüler des Frauenlob-Gymnasiums in Mainz während des Kunstunterrichts.
Schülerinnen und Schüler des Frauenlob-Gymnasiums in Mainz während des Kunstunterrichts.
FOTO: Andreas Arnold / dpa

 

Mainz. Was Schulleiter und Schüler, Politiker und Eltern zum verkürzten Gymnasium sagen. Die meisten Gymnasien im Land sind allerdings weiter neunjährig.
 

Zehn Jahre nach Einführung der ersten achtjährigen Gymnasien (G8) mit Turbo-Abitur in Rheinland-Pfalz zieht das Bildungsministerium eine positive Zwischenbilanz. Die meisten Gymnasien im Land sind weiterhin neunjährig (G9). Der rheinland-pfälzische Sonderweg habe sich bewährt, teilt Bildungsministerin Stefanie Hubig (SPD) in Mainz der Deutschen Presse-Agentur mit. „Die G8-Gymnasien wurden in Rheinland-Pfalz nur dort eingerichtet, wo dieses Angebot von den Eltern gewünscht und von den Schulen und ihren Schulträgern gewollt war.“

Zusammen mit dem vorgeschriebenen Ganztagskonzept mit abwechselnden Lern-, Übungs- und Entspannungsphasen und kaum Hausaufgaben sorge dies für eine große Akzeptanz für G8. „Diskussionen wie in anderen Ländern gab es hier nie“, sagt Hubig.

Der stellvertretende Leiter des Frauenlob-Gymnasiums in Mainz, Ulf Neumann-Welkenbach, erklärt: „Wir haben uns nicht für G8 entschieden, damit die Schüler das Abi früher in der Tasche haben, sondern fanden das rhythmisierte Ganztagskonzept gut.“ Die Schülerin Angela Hahn (18) sagt: „Zu Hause hätte ich nicht so gut die Hausaufgaben gemacht. Hier haben wir gemeinsame Lernzeiten, das ist besser. Jeden Tag zehn Schulstunden zusammen sein ist toll, das stärkt die Klassengemeinschaft. Wir sind sehr schnell zusammengewachsen.“

Auch die Landesvorsitzende des Philologenverbands, Cornelia Schwartz, zeigt sich zufrieden mit dem Nebeneinander von G8 und G9: „Wir werden von anderen Bundesländern beneidet.“ Es sei klug gewesen, G8 nicht wie anderswo flächendeckend einzuführen, sondern eine Wahlfreiheit zu bieten: „G8 ist nicht für jeden Schüler geeignet.“

Für G8 hat sich ursprünglich vor allem die Wirtschaft begeistert, um jüngere Absolventen zu bekommen. Manche Bundesländer rudern nach massiven Schwierigkeiten wieder zurück beim Turbo-Abitur nach nur zwölf Schuljahren. Andere erproben Mischformen – ein Flickenteppich.

In Rheinland-Pfalz gibt es derzeit laut Bildungsministerium 20 G8-Gymnasien mit 12 416 Schülern. Und 131 G9-Gymnasien mit 113 190 Jungen und Mädchen. Dabei ist die Bezeichnung G9 irreführend – G8,5 würde besser passen: Die diesjährigen G9-Abiturienten haben bereits ihre Prüfungen geschrieben. Bis zum vergangenen Freitag mussten alle Abiturzeugnisse an den G9-Gymnasien im Land ausgegeben sein. Dennoch: G8-Absolventen sparen demgegenüber Zeit. Die 18-jährige Lisa Hoffmann sagt im Mainzer Frauenlob-Gymnasium, sie wolle daher vor ihrem Informatik-Studium mehrere IT-Praktika und eine Ausbildung zur Yogalehrerin machen. Und ihre Mitschülerin Angela Hahn möchte vor ihrem geplanten Studium der evangelischen Theologie ein Jahr nach Großbritannien gehen.

Landeselternsprecher Thorsten Ralle sagt: „Die Wahlfreiheit von G8 und G9 hat den Stress anderer Länder rausgenommen. Die rudern wieder zurück und wir haben Glück gehabt. Der rheinland-pfälzische Weg hat sich als der richtige bestätigt.“ Perfekt sei er aber auch nicht. „Der Ganztagsbetrieb könnte teils noch besser organisiert sein. Es hängt wie immer auch sehr vom Lehrer ab“, meint Ralle. „Bei G8 fällt auch Unterrichtsausfall nicht so auf, weil die Schüler den ganzen Tag da sein müssen. Da werden auch gerne mal Ehrenamtliche eingesetzt.“

Frauenlob-Schulleiter Stefan Moos sagt, beim verpflichtenden Ganztagsunterricht gebe es mehr Begegnungen, mehr Arbeitsgruppen auch ohne Lehrer bei offenen Türen: „Es ist eher eine Tür-auf-Kultur als eine Tür-zu-Kultur.“ Auch frische Luft gebe es: In der 90-minütigen Mittagspause würden den Schülern begleitete Ausflüge angeboten.

Im Kunstunterricht sagt die elfjährige Alisha: „Ich finde es hier gut, dass ich keine Hausaufgaben mehr habe, wenn ich heimkomme.“ Der gleichaltrige Jan gibt dagegen zu bedenken: „Wenn ich um viertel vor fünf zu Hause bin, habe ich nur noch drei Stunden Zeit für andere Sachen.“

In Mainz ist es für Schüler einfach, zwischen G8 und G9 zu wählen. In vielen anderen Regionen haben sie dagegen teils lange Wege, um zu einem der landesweit 20 G8-Gymnasium zu gelangen. Es gibt auch Großstädte wie etwa Koblenz ohne eine einzige derartige Schule.

Die bildungspolitische Sprecherin der CDU-Landtagsopposition, Anke Beilstein, sagt zu zehn Jahren G8 im Land: „Wer die Schulzeit verkürzen will, der muss in der verbleibenden Zeit mehr Unterricht anbieten. Das geht nur in einem Ganztagsschulrahmen. Insofern stimmt das Konzept.“ Zugleich sei deutlich geworden, „dass die weit überwiegende Mehrzahl der Schüler und Eltern keine verpflichtenden Ganztagsschulen wünschen. Daher ist G8 in Ganztagsform lediglich als weiteres freiwilliges Wahlangebot in der rheinland-pfälzischen Schullandschaft richtig.“ Eine deutliche Ausweitung dieses Konzeptes werde von Schülern und Eltern nicht gewünscht.

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